Dienstag, 11. Juni 2013
Die Vintage-Etikette Wie Berlin einen jungen Schwaben veränderte
Der 25-jährige Felix war früher ein Abenteurer, der sich für nichts zu schade war - so arbeitete er unter anderem als Plantagenarbeiter in Lateinamerika.
Doch seitdem er in Berlin wohnt, scheint er ein anderer Mensch geworden zu sein. Was ist aus dem oppositionellen Blondschopf geworden?

So schön neu

Nach seinem Abi stopfte Felix drei Unterhosen in seinen Rucksack, drückte Mama ein Küsschen auf die Wange und rannte hinaus in die Welt. Felix lächelt gedankenverloren, wenn er sich an diesen Moment zurückerinnert: “Ich fühlte mich wahnsinnig frei. Endlich konnte ich tun und lassen, was ich will!”
Es zog ihn nach Ecuador, dort arbeitete er acht Monate lang auf einer Bananenplantage, um anschließend durch Lateinamerika zu reisen.

Mamas Liebling

Als er nach einem Jahr zurückkam, erkannte ihn seine Mama, aufgrund seines abgemagerten Körpers, kaum wieder. Aber Felix musste eben Kompromisse schließen. Er sparte all sein Geld für einen Lateinamerikatrip und ernährte sich deswegen fast nur von Bananen - die gabs immerhin gratis. Dafür ist er jetzt um viele Erfahrungen und Freunde reicher. Für ihn steht fest, dass er eines Tages nach Südamerika zurückkehrt. Frau Mama hält gar nichts davon, dass ihr Felix noch einmal in dieses “unterentwickelte Land” zurückreisen will, um als “Boinerkarle” (schwäbisch: Skelett) wieder nach Hause zu kommen. Aber jetzt wird er sowieso erstmal in Deutschland studieren, so, wie sie es immer gewollt hat. Ihre Erleichterung war groß, als sie erfuhr, dass ihr Sohnemann eine Zusage für sein Traumstudium, Architektur an der Universität der Künste in Berlin, erhielt.

Wieder einmal packte Felix seinen Rucksack und machte sich auf den Weg, der ihn dieses Mal aber nur von Reutlingen bis in die deutsche Hauptstadt führte.

Bio, Baby!

Weil Felix anfangs sehr sympathisch auf die Leute wirkt, fand er schnell eine WG. Doch schon nach den ersten zwei Wochen bemerkten seine Mitbewohner, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatten. Statt exotisch-lateinamerikanisch zu kochen, kommt Felix ständig mit Bio-Aufstrichen in Minigläsern an. Viel mehr isst er nicht, das hängt ihn wohl noch aus seiner Bananenzeit nach. Kurze Zeit später verfiel er dem Bio-Wahn vollständig, er kaufte einfach alles Bio - vom Reis bis hin zum Klopapier (selbstverständlich stets im Glauben daran, damit die Welt zu retten). Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Mitbewohner ihn den Schlüssel zur Haushaltskasse entziehen - Nach einen Monat hatten sie es satt, sich mit teurem Biopapier den Hintern abzuwischen.

"Ist das Kunst, oder kann das weg?"

Das nächste Problem tauchte auf, als er und seine Mitbewohner der Wohnung einen neuen Anstrich verpassen wollten. Als unter der alten Tapete eine noch ältere aus den 70ern hervorkam, wurden Felix Äuglein unter den dicken Gläsern seiner Hornbrille immer größer: “Wie geil! Wir sollten sie ins Konzept integrieren!”, rief er euphorisch. Seine Mitbewohner eröhrten seinen Ruf nicht und rissen die Tapete ab. "Wie eine widerliche Erinnerung", entsinnt sich Felix.

Chelsea-Boots statt barfuß

Felix war sehr enttäuscht. Er musste sich revangieren und somit war die Wohnung irgendwann voller Vintage-Möbel: Seine Lieblingsecke, die sich in der gemeinsamen WG-Küche befindet, besteht aus einem Designer-Lamenschirm, zwei Designer-Stühlen und einem funky Designer-Tisch - alles aus den 70er Jahren.

Aus der reinen Protest-Handlung wurde wahre Sammlerlust. Nach kurzer Zeit fand Felix großen Gefallen an all den nostalgischen Objekten, bis er schließlich keine Kontrolle mehr über seine Einkäufe hatte.
Er will alles: Vintage-Kleidung, Vintage-Kameras, Vintage-Schränke, Vintage-Radios,... Kurz gesagt: Er ist gnadenlos der Vintage-Sucht verfallen.

Vorbei ist also die Zeit des abenteuerlustigen Felix, der all sein Geld für's Reisen spart, dafür sogar hungert, nur um barfuß durch die wilde Natur der Anden zu wandern. Der neue Felix ernährt sich von teueren Bio-Aufstrichen und schlendert in Chelsea-Boots durch Berlins Vintageläden und Ateliers, um seine Wohnung “wert- und stilvoll” einzurichten. Hätte man ihm das mal vor drei Jahren gesagt, als er noch in einer Hütte ohne Toilette im ecuadorianischen Dschungel lebte ...

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